Texte | Prof. Dr. Michael Schwarz | Kunsthistoriker

 

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Michael Schwarz
Brigitte Kowanz – Light Steps, 2020


Für den Lichtparcours Braunschweig 2020 wird Brigitte Kowanz auf der Höhe des Steigenberger Parkhotels Light Steps installieren – eine Arbeit aus dem Repertoire ihres umfangreichen, bis in die achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückreichenden Werkes. Erstmals wurde Light Steps 1990 für die Galerie Zumtobel in Wien realisiert. Damals entstand, in den Maßen und der Anzahl der Leuchttreppen variabel, der Prototyp einer Arbeit, die in den folgenden Jahren an weiteren Orten eingerichtet wurde, darunter 2013 in der Hayward Gallery in London, 2015 auf der Light Show im Museum of Contemporary Art in Sydney oder 2017 in San Clemente Palace in Venedig. In Braunschweig wird sie zum ersten Mal im Außenraum zu sehen sein, d.h. die hier verwendeten LED-Röhren werden in ein Trägergerüst gehängt. Je nach Umgebungslicht, das an dieser Stelle des Bürgerparks nicht gering ist, wird das Gerüst in der Nacht zwar sichtbar bleiben, die Lichttreppe aber schon von weitem leuchten, gleichsam über der Oker schweben und sich beim näher kommen auf der meist glatten Wasseroberfläche spiegeln.

Mit dem Prototyp der Light Steps hat Brigitte Kowanz früh eine Grundform entwickelt, die in den jeweils gewählten räumlichen Kontexten andere Bedeutungen annehmen kann. Im damals noch nicht sanierten Kirchenraum der Klosteranlage von San Clemente in Venedig mit seiner Orientierung auf den Hochaltar, vor dem in der derzeitige Nutzung vor allem Trauungen des luxuriösen Kempinski Hotels inszeniert werden, wurden die Lichtstufen schnell zur Jakobsleiter und ließen sich in der Bewegungsrichtung der Kirchenbesucher nur himmelwärts lesen. Bei einer Spiegelung der Lichttreppe auf dem Boden – wie in der Fassung auf der Light Show 2015 in Sydney – waren zusätzlich Assoziationen an den Hades möglich. Das ist bei der Außenarbeit über der ruhig fließenden Oker explizit der Fall.

Jenseits möglicher Bedeutungen besteht Light Steps in seinen verschiedenen Versionen aus handelsüblichen Leuchtstoff- beziehungsweise LED-Röhren, also aus Ready mades. Doch wie Marcel Duchamp Fountain als Sockelplastik präsentiert und dann versucht hatte, diese 1917 auf der großen Schau der Society of Independent Artists im New Yorker Grand Central Palace zu zeigen, montierte Brigitte Kowanz ihre Ready mades zu einer Treppe im Raum, und es entstand eine Form mit inhaltlichen Bezügen jenseits der ursprünglichen Funktion der Leuchtröhren. Die Konnotation als Himmelsleiter liegt zwar nahe, ist aber zumindest für die in Innenräumen realisierten Light Steps ungenau: »Während er [Jakob] schlief, sah er im Traum eine breite Treppe, die von der Erde zum Himmel reichte. Engel stiegen auf ihr zum Himmel hinauf, andere kamen zur Erde herunter.« (1. Moses 28,12). Weder führen die früheren Light Steps von Brigitte Kowanz ins Freie, noch – formal gesehen – hinab. Es sind Aufstiege, und sie enden immer dort, wo der gewählte Raum seinen Abschluss findet.

DMit der Entscheidung, Light Steps in einer eigenen Konstruktion im Außenraum zu zeigen, öffnet Brigitte Kowanz die Arbeit für weitere, seit 1990 erarbeitete Parameter ihres Werkes. Indem die Lichttreppen in einem fließenden Gewässer aufgebaut sind, werden Bewegung und Zeit zusätzliche Kategorien. Nahezu zeitgleich mit dem Prototyp der Light Steps hatte Brigitte Kowanz begonnen, sich mit der Lichtgeschwindigkeit zu beschäftigen. Auch in späteren Arbeiten wie Rund um die Uhr / Weltzeiten (1996), vor allem aber in Another Time Another Place (2003) hat sich die Künstlerin mit der Zeit auseinandergesetzt. Doch während diese Werkgruppe mit dem Neonschriftzug des Titel daran erinnert, dass Licht »keinen Ort kennt« und »nie bei sich bleibt« (B.K.), behandeln die verschiedenen Fassungen von Lichtgeschwindigkeit die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Kurz nachdem 1983 die Geschwindigkeit des Lichts durch eine Neudefinition des Meters auf eine 299792458stel m/s berechnet worden war, schafft Brigitte Kowanz für diese abstrakte Festlegung ein konkretes Bild, das sich jedem erschließt, der um die Bedeutung der Zahlen weiß: Die aufblitzende, mehrstellige Dezimalzahl zeigt den Bruchteil einer Sekunde an, den das Licht benötigt, um die Länge der Arbeit zurück zu legen.

Der andere, in den achtziger Jahren entwickelte und für diese Fassung der Lichttreppen neue Parameter ist die Spiegelung der Light Steps in der Oker. Im Hauptsaal des Frauenbades in Baden hatte Brigitte Kowanz 1988 den Boden des Beckens mit Spiegelfolie abgedeckt, »die im Dämmerlicht des Raumes wasserähnliche Reflexionen erzeugte und zugleich ein in der Deckenmitte angebrachtes Rundfenster deutlich widerspiegelte.« Bei ihrem Beitrag zum Lichtparcours 2020 in Braunschweig, der als eine Reminiszenz an den 1. Parcours vor 20 Jahren wieder an der Oker positioniert ist und damit den Künstler*innen nahelegt, mit dem Wasser zu arbeiten, hat diese Aufforderung bei Brigitte Kowanz zu einer materialen, formalen, vor allem aber inhaltlichen Erweiterung der Arbeit geführt. Während in allen späteren, nach 1988 entstandenen Spiegelarbeiten die Spiegelungen über Folien, Spiegel, meist Einwegspiegel erfolgte, nutzt die Künstlerin in dieser in situ-Arbeit die Reflexionsfähigkeit des Wassers bei tief stehender Sonne, in der Dämmerung und am stärksten dann in der Nacht, wenn das Licht der Lichttreppe auf die dunkle Wasseroberfläche trifft. Es war nicht vorhersehbar, aber in diesem Sommer wird das Werk, dessen Stufen als Himmelsleiter nicht nur nach oben führen, auch zu einem Sinnbild für die dunklen, unvorhersehbaren Gefahren in einer Welt, die sich global organisiert hat und jetzt nicht national gerettet werden kann.

Quellen: siehe PDF

© Michael Schwarz 2020


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