Texte | Prof. Dr. Michael Schwarz | Kunsthistoriker

 

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Michael Schwarz
Mischa Kuball - Public Preposition


Was ist privat und was ist (noch) öffentlich? Seit Jahren verschiebt sich
die soziale Choreografie des öffentlichen Raums – nach beiden Seiten. Während
öffentliche Plätze und Grünflächen mehr und mehr privatisiert, kommerzialisiert
und überwacht werden oder durch POPS (privately owned public space) einer
uneingeschränkten Nutzung entzogen sind, wird in den sozialen Medien das
Private zunehmend öffentlich. Die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem
changieren, räumlich aber auch zeitlich. Unter der Maxime »24/7« werden Waren,
Dienstleistungen und Follower rund um die Uhr verfügbar oder stellen sich zur
Verfügung. Während wir im Stadtraum also immer stärker reglementiert und kontrol-
liert werden, machen wir private Bilder öffentlich: » ... zwischen Überwachung
und Selbstdarstellung wird der ›öffentliche Raum‹ zu einem immer weniger fass-
baren Begriff.« Unter der Bezeichnung »public preposition« hat Mischa Kuball
in den vergangenen drei Jahrzehnten in Projekten, Interventionen und Perfor-
mances hinterfragt, was an welchem Ort unter welchen Bedingungen unter Öffent-
lichkeit zu verstehen ist und wie sich diese dort konstituiert. Dabei zeigt
sich in vielen Arbeiten ein grundsätzlicher Widerspruch des Öffentlichen: Das
Öffentliche ist vermeintlich uneingeschränkt, die Öffentlichkeit aber wird durch
eine künstlerische Intervention fast immer begrenzt. Genau das unterscheidet die
Teilnahme an solchen Interventionen von einem Leben in der Öffentlichkeit, wie
es sich heute darstellt. Dafür zwei Beispiele, die den zwar begrenzten, aber doch
partizipatorischen und humanen Ansatz dieses Handelns im öffentlichen Raum belegen.
1988 hat Mischa Kuball mit dem Vorstand der Mannesmann AG erfolgreich darüber ver-
handelt, die Bürobeleuchtung des Mannesmann-Hochhauses so zu schalten, dass einfache,
weithin sichtbare Megazeichen entstehen. Die eigentliche Leistung im Sinne des
Projekts bestand darin, die Nutzer der Bürotürme zur Mitarbeit zu bewegen. Sie
mussten das Licht abends anschalten beziehungsweise ausgeschaltet lassen, obwohl
sie unter Umständen noch weiterarbeiten wollten. Man sprach miteinander, man über-
zeugte sich gegenseitig, man erzählte Freunden und Bekannten von diesen Megazeichen
ihres Hochhauses. Über zwei Jahre setzte Mischa Kuball einen Prozess in Gang, der
sich mit Begriffen wie Kommunikation, Partizipation, Identifikation und (im Sinne
des Vorstands) mit Corporate Identity beschreiben lässt. Zu den wichtigen Arbeiten
seines umfangreichen OEuvres gehört zweifellos »Refrection House« von 1994 in der
ehemaligen Synagoge von Stommeln, in der Nähe von Köln. Indem Mischa Kuball den
säkularisierten Kirchenraum mit starken, auf die Fenster und die Lunette gerichteten
Strahlern in ein gleißendes Licht tauchte, erinnerte er nicht nur an die Reichs-
kristallnacht von 1938, in der über 1400 Synagogen brannten, sondern auch an die
barbarische Gewalt gegen Ausländer in Mölln, Rostock und Hoyerswerda 1991. Das
blendende Licht der 33.000 Lumen forderte die Anwohner auf, Stellung zu beziehen.
Doch viele Bewohner von Stommeln verwiesen darauf, dass sich die jüdische Gemeinde
1933 aufgelöst und die Synagoge die Pogrome nur überstanden hätte, weil sie ein Bauer
als Scheune genutzt hatte bis die Stadt Pulheim das Gotteshaus 1983 erwarb und für
Kunstprojekte zur Verfügung stellte. Es gab z.T. heftige Reaktionen, eine Auf-
arbeitung der Geschichte blieb jedoch aus. Das war anlässlich des Lichtfestes 2014
in Leipzig bei dem von Kuball realisierten white space auf dem Wilhelm-Leuschner-
Platz anders. Mit einem hell erleuchteten Lichtfeld und der Reproduktion jenes
Banners mit der Aufschrift »Kritisches Denken braucht Zeit und Raum – hier & überall«,
das 1989 wenige Stunden an der Fassade des Nicolaikirchhofs hing, erinnerte Mischa
Kuball 25 Jahre danach an den Widerstand der Menschen in Leipzig und anderswo und
ihren Ruf nach Gedankenfreiheit. Während sich dieses Re-Enactment vor Ort auf die
eigene Geschichte bezog, konnte die Losung an den Fassaden der Museen und Akademien
in Düsseldorf, Köln, Berlin, München und Hannover auf verschiedene Kontexte, lokale
wie weltpolitische, treffen. Hier war die Botschaft universell und über den Anlass
hinaus gültig. In diesen Tagen sehen und erleben wir eine Protestbewegung, kommuniziert
und getragen von den sozialen Medien, durch die die politische Choreografie eines Ortes
neu geschrieben wird: Auf dem Siegesplatz in Bukarest demonstrieren seit Tagen Hundert-
tausende gegen Korruption im Staatsdienst und fordern den Rücktritt der Regierung. Mit
ihren leuchtenden Smartphones und farbigenPapieren ›malen‹ sie das Bild der rumänischen
Fahne in die Nacht. Auch ein starkes Zeichen.

© Michael Schwarz 2017





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